Sprechakte gefährden die Demokratie
Mein Impulsvortrag bei einer Veranstaltung des Freidenkinstituts Berlin
Das Freiblickinistitut in Berlin hatte die Initiative “Lasst Frauen Sprechen!” am 27. Oktober 2022 zu einer Veranstaltung zum Selbstbestimmungsgesetz eingeladen. Ich hielt folgenden Impulsvortrag zur Einleitung der Diskussion.
Bild: © Roman Kogomachenko / Pixabay
Ich war letztes Wochenende auf der Filia, einer großen feministischen Konferenz in Cardiff mit über 1.700 Frauen aus der ganzen Welt. Auf dieser Konferenz war auch die Self-ID-Gesetzgebung ein Thema, denn Genderidentitätsgesetze werden in vielen Ländern durchgesetzt und international kämpfen Feministinnen dagegen.
Ein Angriff auf Frauenrechte
Zwei teilnehmende Frauen sind dort Sonntag Nacht in Polizei-Gewahrsam genommen worden, weil sie auf einer Frauentoilette eines Restaurants einen Mann darum baten, die Räumlichkeit zu verlassen. Der Mann beschwerte sich bei dem Personal, das die Polizei rief. Es wurde behauptet, die Frauen hätten den Mann bedroht. Da die Frauen sich nicht entschuldigen wollten, wurden beide in Gewahrsam genommen und in einem vergitterten Polizeitransporter auf die Wache gebracht. Eine der beiden Frauen ist körperlich eingeschränkt.
Dieses Beispiel zeigt anschaulich, was es für Frauen bedeutet, wenn Männer das Recht erhalten, sich zur Frau zu erklären. Frauen dürfen sich gegen das Eindringen von Männern in Frauenräume nicht mehr wehren. Sie dürfen nicht mehr die Realität benennen, dass ein Mann in einem Frauenschutzraum nichts zu suchen hat, weil er eine potenzielle Gefahr darstellt.
In Deutschland plant die Bundesregierung nun, spätestens nächstes Jahr ein Selbstbestimmungsgesetz auf den Weg zu bringen. Die meisten glauben, dass dieses Gesetz vor allem dem Minderheitenschutz dient. In Wahrheit hat diese Gesetzgebung und vor allem die ihr zugrunde liegende Weltanschauung weitreichende Konsequenzen für Frauenrechte, Kinderschutz, die Meinungsfreiheit und damit die Demokratie.
„Freiheit ist die Freiheit zu sagen, dass zwei plus zwei vier ist. Wenn das gewährt ist, folgt alles weitere,“ schrieb George Orwell in seinem Buch 1984. Die Freiheit, einen Mann als Mann zu benennen, wird inzwischen vor allem Frauen genommen. Und nicht nur das. Ihnen wird auch genommen, sich selbst als Frau zu bezeichnen. Inzwischen definieren Männer sich als Frauen, während sie Frauen als gebärende oder menstruierende Personen, Mensch mit Uterus oder Bleeder entmenschlichen.
Das Selbstbestimmungsgesetz ermöglicht jedem Mann, sich durch einen reinen Sprechakt vor dem Standesamt zur Frau zu erklären. Ein Offenbarungsverbot sichert diesem Mann zu, dass seine Vergangenheit aus allen Dokumenten weitestgehend gelöscht wird. Wird dieser Mann als Mann angesprochen, darf er die Person verklagen auf bis zu 2500 EUR. Dabei spielt keine Rolle, ob dieser Mann überhaupt eine Angleichung seines äußeren Erscheinungsbildes vornimmt. Wenn er sagt: Ich bin eine Frau, ist er gesetzlich eine Frau - ohne weitere Überprüfung.
In der Folge hat er:
Zugang zu Toiletten, Duschen und Umkleiden für Mädchen und Frauen
Zugang zu Frauenhäusern, Frauengefängnissen und anderen Schutzräumen für Mädchen und Frauen
Zugang zu Frauensportmannschaften
Zugang zu Quotenpositionen für Frauen in Wirtschaft und Politik
Es entsteht zwangsläufig auch ein Problem in Statistiken wie beispielsweise der Gewaltstatistik oder in Berichten über Verbrechen in der Presse. Der selbstbestimmte Geschlechtseintrag soll ab einem Alter von 14 Jahren möglich sein. Außerdem soll es möglich sein, den Geschlechtseintrag einmal jährlich zu wechseln.
Ein Angriff auf die Meinungsfreiheit
Wir sind hierher eingeladen worden, um vor allem über die Problematik für Frauenrechte zu sprechen. Allerdings möchten wir darauf aufmerksam machen, dass mit diesem Angriff auf Frauenrechte auch die Meinungs-, Presse-, Glaubens- und Wissenschaftsfreiheit attackiert wird, denn hier wird ein individuelles Gefühl zur eigenen Identität über die körperlich-materielle Realität gestellt. Es findet also eine folgenschwere Begriffsverschiebung statt, die Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft hat.
Die klar umrissene Kategorie Geschlecht wird durch eine selbstdefinierte Geschlechtsidentität ersetzt, die eine reine Glaubens- und Gefühlssache ist. Diese selbstdefinierte Geschlechtsidentität soll juristisch geschützt werden, so dass also jede und jeder dafür bestraft werden kann, wenn er dieser individuell bestimmten Identität widerspricht. Uns liegt hier also das Märchen „Des Kaisers neue Kleider“ in realer Form vor – mit der Ergänzung, dass der Kaiser alle bestrafen darf, die sagen, dass er nackt ist.
Das Freiblickinistitut beschäftigt sich ja unter anderem mit Gefährdung der freien Meinungsäußerung. Wir erleben als Feministinnen schon länger ohne eine entsprechende Gesetzgebung extreme Aggressionen von Transrechtsaktivisten, wenn wir auf der körperlich-materiellen Realität bestehen oder eine demokratische Debatte zum Selbstbestimmungsgesetz einfordern. Das geht soweit, dass die berufliche Karriere und der Ruf massiv beschädigt werden. Wenn diesen Personen ermöglicht wird, uns für diese demokratischen Grundpfeiler juristisch zu verfolgen, gehen wir davon aus, dass sie das mit Kusshand tun werden. Das zeigt schon allein das Beispiel aus Cardiff.
Ein weiteres Beispiel ist die Norwegerin Christina Ellingsen, für die wir vor der norwegischen Botschaft in Berlin demonstrierten. Ihr drohen 3 Jahre Haft, weil sie sagt, dass Männer keine Frauen, Mütter und Lesben sein können. Erst vorgestern hat Eva Engelken, Juristin und Autorin des neuen Buchs „Trans*innen. Nein danke!“ in einem längeren Artikel erläutert, dass auch in Deutschland schon jetzt die freie Meinungsäußerung auf dem Spiel steht – u.a. durch Meldestellen, die sich ins Gegenteil ihres eigentlichen Zwecks verkehren, wenn sie der Denunziation von Feministinnen dienen. Wenn das Benennen der körperlich-materiellen Realität ein Hassverbrechen wird und auf eine Stufe mit rechtsextremem Gedankengut steht, gefährdet das vor allem Feministinnen. Denn: Frauenrechte beruhen auf der körperlich-materiellen Realität des Geschlechts Frau – nicht auf einem Gefühl.
Ein Angriff auf Kinderschutz
Es gibt viele weitere Aspekte dieser Gesetzgebung und Weltanschauung, die sehr problematisch sind. Beispielsweise die Auswirkungen auf Kinder, denen in Medien, Kitas und Schulen schon jetzt der Glaube vermittelt wird, sie könnten im falschen Körper geboren sein oder sie könnten sich ihr Geschlecht aussuchen. Das hat dazu geführt, dass vor allem Mädchen in der Pubertät inzwischen auch in Entwicklungsländern wie Indien in Scharen aus ihrem Geschlecht fliehen wollen und sich als nonbinary oder Junge definieren. Die Genderkliniken in vielen Ländern erleben einen extremen Zulauf von Mädchen, die sich Pubertätsblocker verschreiben lassen wollen oder den Wunsch äußern, sich die Brüste zu amputieren. Gleichzeitig lässt sich eine steigende Zahl von Detransitionern beobachten – also vor allem Frauen, die ihre Transition bereuen. Hier stellt sich – auch bei Erwachsenen – die Frage, inwiefern es einer echten Freiheit und Progressivität entspricht, den Körper über Hormone und plastische Operationen dem sexitischen Stereotyp des Gegengeschlechts anzugleichen. Dieser Aspekt ist ein eigenes, umfangreiches Thema, das ich in diesem Impulsvortrag nicht weiter ausführe, über das wir aber gern in der Diskussion sprechen können.
Ein Angriff auf die Demokratie
Zusammenfassend möchte ich vor allem hervorheben, wie sehr eine Politik der Sprechakte Frauenrechten und damit der Demokratie schadet. Denn eine fortschrittliche Demokratie zeichnet sich immer dadurch aus, dass sie Frauen respektiert und schützt. Mit Frauenrechten sind gleichzeitig auch immer Kinder geschützt, da Frauen Kinder gebären.
Ich zitiere die Historikerin, Politikwissenschaftlerin und Feministin Dr. Regula Stämpfli aus ihren Hannah Arendt Lectures und dem Podcast “Die Podcastin“ mit Isabel Rohner:
“Wer mittels Codes, Ideologie, Narrativen, Sprechakten die Wirklichkeit ausser Kraft setzt, die Verhandlungen über die gemeinsame Welt aussetzt, erringt einen permanenten Sieg auf Kosten der Wirklichkeit.” Demokratien sind immer an Körper gebunden. Diese durch Sprechakttheorien ausser Kraft zu setzen, ist unzulässig. Sprechakttheorien sind im 21. Jahrhundert die Totalitarismen unserer Gegenwart. Sie tauchen links und rechts auf und fallen mit der Auflösung der Wirklichkeit und realen Welt durch die digitalen Revolutionen, die die Welt beschriften, zusammen.
Ich hoffe, ich konnte einen Impuls für eine anregende Diskussion zum Thema geben. Vielen Dank!