„Jeder Mensch kommt durch eine Frau auf diese Welt und nur Frauen haben die Fähigkeit, Menschen zu gebären.“
„Jeder Mensch kommt durch einen Menschen mit Uterus auf diese Welt und nur Menschen mit Uterus haben die Fähigkeit, Menschen zu gebären.“
Die beiden oben genannten Sätze fassen knapp den aktuellen Kulturkampf zusammen, der sich um die Begriffe „Frau“ und „Mutter“ entfacht hat. Diese Auseinandersetzung hat unmittelbare Auswirkungen auf die Zeit der Schwangerschaft, der Geburt und des Stillens. Der erste Satz gilt in queeren und intersektionalen Kreisen als transphob. Der zweite Satz klingt für viele Frauen befremdlich, für Radikalfeministinnen ist er frauenfeindlich.
Der Befreiungskampf der Frauen
Vom Beginn feministischer Bewegungen an kämpften Frauen darum, nicht auf eine stereotype, sexistische Rolle beschränkt zu werden. Neben der sich für ihre Familie aufopfernden Mutter und Hausfrau war dies auch die Rolle der schönen, sexuell attraktiven Gespielin und Trophäe ihres Mannes. Als „weiblich“ galt es, sanft, schwach, zurückhaltend, liebevoll und leise zu sein.
Die feministische Analyse bezeichnet diese beschränkenden Geschlechter-Stereotype ursprünglich als „Gender“ in Abgrenzung zum angeborenen, biologischen Geschlecht (englisch: „Sex“). Das Ziel des Feminismus ist es, Gender zu überwinden, damit jeder Mensch – unabhängig von seinem Geburtsgeschlecht – alle Möglichkeiten des Ausdrucks und der Entfaltung findet.
Mit dem Einzug des irrtümlich als “liberaler und intersektionaler Feminismus” bezeichneten Unterwanderung und der Queertheorie wurde diesen Begriffen allmählich eine andere Bedeutung zugewiesen. Dazu hat unter anderem maßgeblich Judith Butler mit ihrem Werk „Gender Trouble“ aus dem Jahr 1990 beigetragen. Sie interpretiert nicht nur Gender, sondern auch Geschlecht selbst als soziales Konstrukt und sieht in der Tradition des Konstruktivismus von Foucault die materielle Wirklichkeit als durch Sprache definiert an.
Feminismus ist für alle da!
Mit Beginn des 21. Jahrhunderts nahm die Queertheorie immer größeren Einfluss auf das, was wir bisher als Geschlecht bzw. als Frau und Mann definierten. Es veränderte sich auch das Verständnis dazu, was als Feminismus bezeichnet wird. Feminismus verstehen viele inzwischen nicht mehr die Befreiungsbewegung der Frauen, sondern als eine Menschenrechtsbewegung, die gleiche Rechte für alle erkämpfen will.
Die Queertheorie möchte die Grenzen der Gender-Stereotype durchbrechen, indem sie das biologische Geschlecht nicht mehr als ein gegebenes, binäres System sieht, sondern als ein Spektrum unendlicher Gender-Vielfalt. Ein Penis ist damit nicht mehr das primäre Geschlechtsorgan eines Mannes, sondern einfach ein Fortpflanzungsorgan ohne geschlechtliche Zuweisung. Die Gender-Identität entscheidet, welchem Gender sich ein Mensch zugehörig fühlt. Diese ist jedoch nicht klar materiell oder körperlich umrissen. Stattdessen wird sie rein über ein Gefühl der Zugehörigkeit definiert und kann sich in Form einer Gender-Fluidität auch verändern.
Der Geist bestimmt den Körper
Uns liegt hier also ein Konzept vor, das nicht mehr die körperlichen Gegebenheiten als Grundlage einer kategorischen Einordnung nutzt, sondern ein subjektives, individuelles Gefühl der Identität.
Im Jahr 2007 wurde von einer internationalen Expertinnen- und Experten-Gruppe aus Rechtsprechung, Gesundheitswesen und Menschenrechten in Yogyakarta (Indonesien) eine Richtlinie verfasst, die nicht nur die sexuelle Orientierung als schützenswert erachtet, sondern auch den Schutz der Gender-Identität als Menschenrecht versteht. Die Yogyakarta-Prinzipien sind zwar für UN-Staaten nicht rechtlich bindend, haben inzwischen aber dennoch international einen starken Einfluss auf staatliche und akademische Gremien, Beschlüsse und Gesetzgebungen.1 Diese Richtlinien, die beispielsweise als Grundlage für das geplante Selbstbestimmungsgesetz in Deutschland verwendet werden, haben Auswirkungen auf verschiedene gesellschaftliche Bereiche und auf Frauenrechte.
Gender, Sprache und Geburtshilfe
Ziel einer geschlechtergerechten Sprache war es ursprünglich, Frauen sichtbarer zu machen (z.B. durch die Verwendung der weiblichen und männlichen Formen: Gynäkologinnen und Gynäkologen). Inzwischen ist man dazu übergegangen, geschlechtliche Begriffe zu neutralisieren (vgl.: Lehrkräfte, Studierende) oder Geschlechtsidentitäten über den Genderstern abzubilden (vgl.: Hebammenstudent*innen).
Für die Geburtshilfe führten all diese Entwicklungen dazu, dass es zunehmend zum guten Ton gehört, nicht mehr von schwangeren Frauen zu sprechen, sondern von schwangeren Personen. Dies ist insbesondere in englischsprachigen Ländern zu beobachten, wo dieser Prozess schon weiter fortgeschritten ist. Der Ausdruck „birthing women“ wird hier mitunter wahlweise ersetzt durch „birth givers, birth persons, birthers, birthing families, birthing parents, birthing people…“. Für „breastfeeding“ stehen Begriffe wie „body feeding, chestfeeding, human milk feeding“ zur Verfügung.2
Die angebliche Motivation hinter diesen Formulierungen ist es, niemanden zu verletzen und möglichst inklusiv zu formulieren. Genau besehen handelt es sich aber um eine ideologische Verdrehung durch Sprache. Menschen weiblichen Geschlechts könnten sich in der Vorstellung der Genderidentitätsideologie als Mann identifizieren. Das bedeutet, dass in den Augen derjenigen, die an eine Gender-Identität glauben, Männer schwanger werden und gebären könnten. Biologische Männer wiederum, die sich als Frauen identifizieren, könnten sich dadurch ausgeschlossen fühlen, dass sie mit der Realität konfrontiert werden, nicht gebären und stillen zu können. Da sie sich aber als vollständige Frauen empfinden, wünschen sie sich eine Veränderung der Formulierungen rund um die Realität der Körperlichkeit von Frauen.
“Muttermilch” sollte demnach besser “Menschenmilch” heißen, die Gebärmutter soll “Uterus” genannt werden, Frauen werden als “Menschen mit Uterus” bezeichnet. Diese sprachlichen Veränderungen wurden besonders in einem akademischen Umfeld schnell aufgegriffen.
So titelte das Lancet Medical Journal im September 2021 auf dem Cover mit der Zeile „Historically, the anatomy and physiology of bodies with vaginas have been neglected“.3 (Kurz zuvor schrieb dieselbe Zeitschrift auf ihrem Titelblatt zu Prostata-Krebs übrigens explizit von Männern.)
Inklusive Sprache
Oberstes Prinzip ist es also, sprachlich nicht zu verletzen. Es wird als aggressive Haltung interpretiert, wenn der gewünschten Anrede nicht entsprochen wird („Misgendern“). Dass Frauen sich wiederum verletzt fühlen könnten, wenn sie sprachlich auf ihre Reproduktionsorgane reduziert werden, wird als hinnehmbar eingestuft.
Aus Sicht der Queertheorie wird davon ausgegangen, dass diese Entwicklung nicht problematisch sei, denn es nehme Frauen nichts weg, wenn bei den jeweiligen Themen sprachlich auf die entscheidenden körperlichen Gegebenheiten fokussiert wird.4 Das klingt zunächst logisch, denn tatsächlich sind bei einer Schwangerschaft oder einem Schwangerschaftsabbruch eben tatsächlich NUR Menschen mit Uterus betroffen. Frauen, die keinen Uterus haben, berührt diese Thematik nicht direkt.
Frauen werden aber in vielfältiger Weise diskriminiert, schlicht weil sie Frauen sind und das Potenzial zu einer Schwangerschaft haben – selbst wenn einzelne Frauen diese Fähigkeit nicht haben. Die Diskriminierung und Gewalt gegen Frauen macht sich am Geschlecht „Frau“ und an den potenziellen Gegebenheiten ihres Körpers fest – nicht an einer Geschlechtsidentität.
Das Verschwinden von Frauen
Wir haben erst seit kurzer Zeit ein gesellschaftliches Umfeld geschaffen, das Frauen ein offenes Sprechen über ihren Körper erlaubt. Vieles rund um weibliche Körperlichkeit und Sexualität ist nach wie vor nicht ausreichend erforscht oder gar tabuisiert. Besonders für schwangere Frauen und Mütter ist auch heute noch keine tatsächliche körperliche Selbstbestimmung gewährleistet. Wir wissen beispielsweise, dass Schwangerschaft eine Hochrisikozeit für Partnerschaftsgewalt darstellt. Die „Red Roses Revolution“ und Bücher wie „Gewalt unter der Geburt“ von Christina Mundlos5 belegen in erschreckender Weise, mit welchen Übergriffen Frauen in dieser sensiblen Phase zu rechnen haben. Es wird schwierig, über diese Problematik gezielt zu sprechen und aufzuklären, wenn uns die Worte fehlen, um den Gesamtkomplex zu erfassen.
Milli Hill, eine britische Autorin, Feministin und Aktivistin für Geburtshilfe, sah sich 2020 einem Shitstorm in sozialen Medien ausgesetzt, als sie Begriffe wie „birthing person“ aus diesem Grund in Frage stellte.67 Ähnlich erging es der Harry-Potter-Autorin JK Rowling auf Twitter, als sie ihre Meinung zu „sex“ und „gender“ öffentlich machte. Beide sahen sich daraufhin mit extremen Anfeindungen konfrontiert.89
Frauen wie Rowling oder Hill wird vorgeworfen, mit ihren Fragen die Feindseligkeit gegen Menschen mit einer Transidentität zu bestärken. Sie laufen Gefahr als „TERFs“ verunglimpft zu werden – als „Trans exkludierende radikale Feministinnen“. Da aber Frauen von dieser Entwicklung konkret betroffen sind, müssen wir eine Möglichkeit finden, respektvoll miteinander zu diskutieren, um zu einer ausgewogenen Lösung zu finden.
Ein aktueller Vorstoß
In einem aktuellen Artikel internationaler Expertinnen und Experten aus dem Bereich Geburtshilfe wird ausführlich erläutert, welche Auswirkungen die sprachlichen Veränderungen haben können.10
1. Mangelnde Inklusivität:
Diese Art der Sprache setzt neue Verständnis-Hürden für Menschen, die sich nicht in einem akademischen Umfeld bewegen und mit Begriffen wie „Menschen mit Zervix“ oder „menstruierende Person“ nichts anfangen können.
2. Entmenschlichung von Frauen und Müttern:
Geschlechtsneutrale Worte wie „gestational carrier“ anstatt „pregnant woman“ entmenschlichen Frauen und reduzieren sie auf ihre Reproduktionsorgane.
3. Unterwanderung der Autonomie von Frauen und Müttern:
Es werden Menschen sprachlich eingeschlossen, die mit exakter Formulierung eigentlich ausgeschlossen sein müssten. Wenn man im Zusammenhang mit Geburt allgemein von Menschen oder Familien spricht, statt von Frauen oder Müttern, werden auch Personen männlichen Geschlechts adressiert. In Wahrheit haben aber Frauen und Mütter einzigartige, körperliche und seelische Bedürfnisse rund um Schwangerschaft, Geburtshilfe und Stillen, die sie nicht mit Männern teilen. Es ist wichtig, Frauen korrekt zu adressieren, um sie als autonome Menschen zu sehen.
4. Sprachliche Verwirrung und mangelnde Präzision:
Dies gilt zum Beispiel bei Statistiken, in denen das Wort „Frau“ oder „Mutter“ durch „Mensch“ ersetzt wurde. So geschehen in Veröffentlichungen rund um COVID-19, in denen bei den Auswirkungen der Krankheit zwischen „pregnant-people“ und „non-pregnant-people“ unterschieden wurde, obwohl es in Wahrheit um einen Vergleich zwischen schwangeren Frauen und nicht-schwangeren Frauen ging.
5. Entkörperung und Unterwanderung der Bedeutung des Stillens:
Die englische Formulierung „human milk feeding“ statt „breast feeding“ entkörpert das Stillen und entkoppelt es von der Brust der Mutter. Auch für die Stillförderung hat es Auswirkungen, wenn Muttermilch sprachlich auf eine Stufe gestellt wird mit jeder anderen Form von Milch.
6. Aushöhlung der Bedeutung des Wortes „Mutter“:
“Mama” ist das erste Wort vieler Kinder, hat in den meisten Sprachen eine besondere Bedeutung und unterstreicht die Bindung zwischen Mutter und Kind. Die sprachliche Unterwanderung und Marginalisierung der Mutter-Kind-Dyade hat ungünstige Auswirkungen.
7. Unpräzise gesetzliche Regelungen:
Hier wird als Beispiel genannt, dass in Neugeborenen-Intensivstationen während der COVID-19 Pandemie nur eine einzelne Person für einen begrenzten Zeitraum zu Besuch kommen darf. Wird hier unpräzise „Eltern“ der Zugang gewährt, findet keine Unterscheidung zwischen Mutter und Vater statt. Für eine gelingende Stillbeziehung und die Bindung zwischen Mutter und Kind sollte aber in erster Linie die Mutter besuchsberechtigt sein.
8. Verwirrung in Forschung und Wissenschaft:
Frauen und Mütter haben einzigartige körperliche und gesundheitliche Gegebenheiten und Bedürfnisse, die nicht präzise über den Begriff „Eltern“ oder „Menschen“ abgedeckt werden können. Ohnehin besteht bereits ein „female data gap“, der durch geschlechtsneutrale Begrifflichkeiten oder eine Verwechslung von Gender und Geschlecht in Forschung und Wissenschaft verschärft wird.
Zusammenfassend empfiehlt der Text eine genaue Differenzierung von Gender, Genderidentität und Geschlecht. Dabei sollte die Frage im Vordergrund stehen, wie eine klare, verständliche und zielgerichtete Formulierung erreicht wird, ohne zu entmenschlichen. In der weit überwiegenden Zahl der Fälle bedeutet dies eine Unterscheidung über Geschlecht – im Einzelfall über Gender und Genderidentität.
Was Vielfalt bedeutet
Das behauptete Ziel der Queertheorie ist eine vielfältige, bunte Gesellschaft, in der jeder Mensch selbstbestimmt seine Individualität leben und seinen Körper an seine empfundene Geschlechts-Identität anpassen kann.
Dennoch müssen wir die vulnerable Gruppe der Frauen in Schwangerschaft, Geburt und Stillzeit im Auge behalten. Wir sollten es nicht zulassen, dass sie sprachlich marginalisiert werden oder ein Einsatz für die Beibehaltung ihrer sprachlichen Sichtbarkeit als Feindseligkeit interpretiert wird.
Die UN-Frauenrechtskonvention CEDAW fordert in Artikel 12 (2), dass „die Vertragsstaaten für angemessene und erforderlichenfalls unentgeltliche Betreuung der Frau während der Schwangerschaft sowie während und nach der Entbindung und für eine ausreichende Ernährung während der Schwangerschaft und der Stillzeit [sorgen]“.11
Die Women’s Declaration International fordert sicherzustellen, dass Mutterschaft “in ihrer Rechtsstellung und als Zustand ausschließlich Personen des weiblichen Geschlechts betrifft”.12
Die Women’s Declaration International führt weiter aus:
Es stellt eine Diskriminierung von Frauen dar, wenn Männer, die von sich eine weibliche „Genderidentität“ behaupten, vor dem Gesetz, in der Politik, in Richtlinien und im Alltag unter der rechtlichen Kategorie der Mutter berücksichtigt werden, und genauso, wenn Frauen, die von sich eine männliche „Genderidentität“ behaupten, unter der Kategorie des Vaters berücksichtigt werden, da dies die ausschließlichen und geschlechtsbedingten Rechte von Müttern aufzuheben sucht.
[…] Die Bedeutung der Bezeichnung „Mutter“ soll keine Veränderung oder Erweiterung zur Inkludierung von Männern erfahren.
Es sind Mütter, die jedes individuelle Menschenleben hervorbringen und meist auch über viele Jahre versorgen. Daher profitiert jeder Mensch von einem respektvollen Umgang mit Müttern und von ihrer optimalen Position und Versorgung.
Dieser Text erschien zunächst 2022 in der Österreichischen Hebammenzeitung. Für die aktuelle Veröffentlichung habe ich ihn etwas verändert und erweitert.